Gelassen zielorientiert sein – was wie ein Widerspruch klingt, begegnete mir neulich im Gespräch mit einer Leitenden Ärztin, nennen wir sie Claudine, die mir aus ihrem Leben erzählte. Ihr ganzes Wesen verkörpert auf beeindruckende Weise genau diese beiden Eigenschaften. Sie ist kompetent, sicher, fachlich hervorragend qualifiziert, beruflich etabliert und “angekommen”. Gleichzeitig strahlt sie eine gewisse Bescheidenheit aus, die sich nicht aufblähen muss, um den Wert zu sichern. Sie begegnet mir ruhig, zugewandt und freundlich.
Claudine gewährte mir Einblick in einige ihrer Lebensprinzipien, die sie seit ihrer Jugend leiten. Christus nachzufolgen hat sie immer als etwas aufgefasst, das aus der Beziehung zu ihm erwächst, also eine ganz persönliche Ausformung erfährt. Schon als kleines Mädchen stand der Berufswunsch fest. Die nötige Intelligenz war vorhanden, der schulische Anmarschweg gelang und unterstützende Eltern trugen das Ihrige bei.

Ärztin wirst du nicht aus Träumereien heraus – es ist ein steiniger Weg, der viel Entbehrung abverlangt. “Ich hatte immer Ziele vor Augen und gleichzeitig bewahrte ich mir eine Offenheit. Bestätigte sich ein angepeiltes Ziel, ging ich auf dem Weg weiter”, sagt sie, und räumt ein, dass sich Dinge manchmal eben auch nicht bestätigten. Dann braucht es die Gelassenheit und innere Grösse, loszulassen.
Auf diesem schmalen Weg spielt Gottvertrauen eine Schlüsselrolle. Gut möglich, dass Jesus genau über solche Dinge sprach, wenn er Nachfolge mit dem schmalen Weg verglich, den er uns führt. Aus dieser Warte um offene Türen zu beten und sie dann zu durchschreiten oder geschlossene eben zu akzeptieren, das geschieht ganz natürlich – gelassen eben. Gelassenheit ist nicht zu verwechseln mit Entspanntheit. Nur schon die ungeheuerlichen 100-Stunden Arbeitswochen in ihren Assistenzjahren zeugen von dem grossen Engagement, das dieser Werdegang ihr abverlangte.

Claudine hat auch von Momenten erzählt, in denen sie ihre Motive ehrlich beleuchten musste, um auf diesem schmalen Weg der Berufung nachzueilen und nicht dem Status, dem eigenen Ansehen oder der Ehre.
Ich finde es ein Privileg, mit Frauen, die einen solchen Weg beschreiten, zu sprechen und von ihnen zu lernen. Ich bin ermutigt, aber auch ein wenig nachdenklich aus der Begegnung herausgegangen. In der Berufung zu leben bedeutet weit mehr, als ein erfülltes und glückliches Leben zu führen, das gute Früchte trägt. Es hat auch einen Preis, der sich in Entbehrungen, Anstrengung und Hingabe messen lässt.

Sabine Fürbringer